Das neue Retail Omnichannel Commerce - Mini-Serie - Teil 3

von Jörg Brunschwiler am

Fokus Digital Operations Platform (DOP) - weshalb sogar das alte ERP in Frage gestellt werden sollte

In den ersten beiden Teilen der Mini-Serie “Das neue Retail Omnichannel Commerce” sind wir u.a. auf die neuen Omnichannel-Anforderungen eingegangen und haben beleuchtet, mit welchen Ansätzen diese Anforderungen angegangen werden können. 

In diesem letzten Teil soll es um das vorgängig angeteaserte Szenario 4 gehen, bei welchem z.B. eine “Omnichannel Retail All-In-One-Lösung mit starken OMS und ERP” grosse Teile der gesamten Systemlandschaft ersetzen könnte.

Unter dem von Forrester mitgeprägten Begriff Digital Operations Platform (DOP) und getrieben von Strömungen wie Unified Commerce gibt es eine Vielzahl von Systemen, welche einen riesigen Funktionsumfang für sich beanspruchen.

Im Folgenden stellen wir unsere Meta-Definition in Bezug auf Umfang, Rahmenbedingungen und Systemkategorien vor.

Uebersicht-Digital-Operations-Platform-DOP

Eine Digital Operations Platform (DOP) deckt potentiell die folgenden Teile ab:

    • Lösung für eCommerce - der Online-Shop für Kunden
    • Lösung für POS - für Kunden in der Beratungssituation und beim Pickup inkl. integrierter Kassenlösung
    • Lösung für Order Management mit den in Teil 1 beschriebenen Anforderungen
    • Starke zentrale Workflow-Lösung für übergreifende Automation
    • Starker zentraler Data & Analytics Layer für Stammdaten und Bewegungsdaten, auf welchen aus allen Prozessen darauf zugegriffen werden kann, gekoppelt mit einer Analyse-Lösung zur Überprüfung von Verhalten, Qualität etc.
    • Komplette Enterprise Resource Planning (ERP) Funktionalitäten für Unternehmen in Industrie und Handel aber auch im reinen Dienstleistungssektor
    • Lösung für Warenwirtschaft und Logistik
    • Komplette Customer Relationship Management (CRM) Funktionalitäten für Marketing, Sales und Service
    • Lösung für Product Information Management (PIM) und Digital Asset Management (DAM)
  • Integration von Marktplätzen und weiteren Kanälen
  • Integration von Backend-Umsystemen - bestehende, etablierte Systeme können komplett beibehalten und integriert werden, was auch bei der schrittweisen Ablösung z.B. des bestehenden ERP mit einer DOP notwendig ist

Aus dem Jahre 2022 existieren zum Thema zwei Forrester Waves “DOP for Manufacturing and Distribution” und “DOP for Services.

Viele der dort genannten Systeme haben, wie so oft bei US-fokussierten Analystenmeinungen, für den europäischen Markt mit Schwerpunkt DACH wenig Relevanz und scheitern bereits daran, dass es keine entsprechenden Implementierungspartner gibt.  

Spannende Branchen-Ansätze wie “Retail All-In-One-Lösung” oder eben auch Europa-fokussierte Produkte sucht man darin leider ebenfalls vergebens, weshalb eigene weiterführende Recherchen unumgänglich sind. 

Es gibt verschiedene Anbieter, die die oben genannten Teile mehr oder weniger gut abdecken. Dennoch wird man das allgemeine Gefühl nicht los: “So eine eierlegende Wollmilchsau kann doch sicher alles ein wenig, aber nichts richtig!” Und damit liegt man prinzipiell wohl nicht mal falsch - die ultimative Lösung kann es nicht geben.

Aber es bleibt die Frage, die sich unsere Kunden zunehmend stellen: Kann dieser Ansatz in meiner Systemlandschaft etwas bewegen und wenn ja, wie?

Die Frage kann definitiv nicht generisch beantwortet werden, sondern hängt stark von der Situation und den Anforderungen ab. Womit wir uns mitten in einem von uns so geliebten Evaluations-Projekt befinden.

Wieder mit Blick auf die Grafik oben: Eine Kombination der folgenden, wichtigsten Rahmenbedingungen für das Hinzuziehen von DOPs in einer Evaluation muss gegeben sein:

  • Der Leidensdruck, vor allem im Bereich ERP ist sehr stark
    • Das aktuelle ERP ist end-of-life und es braucht grundsätzlich eine neue Lösung.
    • Die Migration auf die Cloud-Variante des aktuellen ERP ist schlichtweg unendlich teuer und erstmal ohne Mehrwert.
  • Hinsichtlich den Layern Workflow & Automation und Data & Analytics liegt viel im Argen, verstärkt unter Berücksichtigung der Integration von Umsystemen
    • Die übergreifende Orchestrierung der Geschäftsprozesse des Unternehmens, basierend auf entsprechenden Daten, ist nicht möglich.
    • Die konsequente Ausrichtung auf den Kunden und seine Prozesse (Customer Centricity) ist nicht möglich.
    • Der Wille ist vorhanden, dass die Prozesse nicht exakt gleichbleibend übernommen werden - vielmehr sollen diese im Vorfeld neu angedacht werden und in den Evaluationsprozess einfliessen
  • Die interne IT muss sich ein verändertes, übergreifendes und flexibleres Einsatzszenario vorstellen können
    • Mehrere Lösungen der IST-Architekturlandschaft sind nicht in Stein gemeisselt und stehen zumindest zur Diskussion.
    • Bemerkung: Für einen reinen 1:1-Austausch des bestehenden ERPs begibt man sich besser auf die Suche nach einem geeigneten, schlanken Cloud-ERP.

Wenn mehrere der genannten Rahmenbedingungen zutreffen, schwenkt der nächste Blick auf die Anbieter, welche sich in einem sehr unübersichtlichen Feld tummeln. Wir ordnen die Anbieter jeweils einer der folgenden Kategorien zu:

  • Best-of-Bread unter einem Produktnamen
    • Unter einem Firmendach wurden strategisch viele Komponenten zusammengekauft, die nun unter einem Produktnamen vermarktet werden.
    • Welche Teile von welchem Firmenkauf stammen, ist mit viel historischer Recherche herauszufinden und je nach Zeitpunkt und Reihenfolge der Akquisitionen erkennt man den Kern der Lösung.
    • Eine saubere Integration der einzelnen Teile ist gemäss Aussage Herstellern umgesetzt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass dies zwar nicht ausgeschlossen, aber eher selten der Fall ist.
  • Plattform-Ansatz
    • Die Plattform, die sich meist aus einer Richtung wie z.B. CRM entwickelt hat, bietet viele anbietereigene Module.
    • Drittanbietern wird die Entwicklung eigener Module ermöglicht. Dadurch sind sehr viele und breite Funktionalitäten sowie Integrationen verfügbar.
    • Der Funktionsumfang und Qualität von anbietereigene Modulen, aber vor allem auch diejenigen der Drittanbieter ist schwer hinsichtlich Qualität und Zukunftsfähigkeit zu beurteilen.
  • Komplettlösung
    • Die Komplettlösung wurde für eine Branche und mit Fokus KMU entwickelt und kommt mittlerweile mit Funktionsumfang und Skalierbarkeit auch für grössere Unternehmen in Frage.
    • Eine Integration von einzelnen Komponenten ist nicht notwendig. Es handelt sich tatsächlich um eine einzige Lösung, die nach modernen Architekturprinzipien modular aufgebaut ist.
    • Die meist generischen Ansätze im Aufbau der Module und im Zusammenspiel mit den Workflows können Nachteile in der Bedienbarkeit mit sich bringen
  • ERP-Branchenaufsatz
    • Für fast alle grossen, altbekannten ERP haben sich von Drittherstellern komplette Branchen Ansätze entwickelt, welche mit einem grossen Ökosystem von Business Lösungen aufwarten.
    • Der Branchenaufsatz erweitert das ERP auf ganzer Linie und verspricht sehr schlanke Projekte, da Prozesse, Daten und Interfaces bereits auf die Branche ausgelegt sind.
    • Die schlussendlichen Komplettierung von ERP und Branchenaufsatz durch Applikationen der Implementierungs-Dienstleister verspricht auf dem Papier eine sehr breite und tiefe Abdeckung plus gleichzeitig viel Flexibilität. Eine Kombination, die später in Betrieb und Weiterentwicklung zu Sorgenfalten führen kann.

Zusammenfassung und Fazit - was kann man aus diesem abschliessenden Teil der Mini-Serie mitnehmen:

  • Wir sind überzeugt, dass moderne Ansätze wie DOP zu mehr Agilität und Flexibilität in einem doch verkrusteten Umfeld mit ERP-Bestandteilen führen können.
  • Es ist jedoch für Unternehmen ein sehr weiter Weg, sich überhaupt auf eines der Systeme einzulassen. Wenn jedoch die genannten Rahmenbedingungen gegeben sind, lohnt es sich, den Horizont zu erweitern und “auch mal das alte ERP in Frage zu stellen”.
  • Im Unterschied zu einer eher enger abgesteckten Evaluation von z.B. eCommerce-Lösungen für B2B oder B2C hat das Thema Omnichannel Management System mit der Berücksichtigung von ERP-Bestandteilen eine Tragweite, bei welcher eine vorgelagerte Architekturberatung unbedingt zu empfehlen ist. Erst nach Einschränkung auf das passende Szenario kann in einem zweiten Schritt eine Evaluation der passenden Lösung dafür erfolgen.

Gerne finden wir gemeinsam mit Ihnen das passende Einsatzszenario mit der optimalen Lösung für Ihre Unternehmenssituation.

Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme!

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Jörg Brunschwiler

Chief Consulting Officer & Partner

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